Nach dem Abi stand eine Frage eigentlich immer fast unausgesprochen im Raum: “Was machst du denn jetzt so?” Wir vier, also Natalie, Paula, Theresa und ich, Jule, pflegten dann zu sagen: “Wir gehen erstmal für ein paar Wochen nach Uganda bevor das Studium losgeht.” “Nach Uganda? Wie kommt ihr denn darauf?” Und dann erzählten wir zu aller erst von Gabriels Besuch an unserer Schule als wir noch in der zehnten Klasse waren, wie er mit Kathrin zusammen von seinem Projekt in Luwero berichtete und Paula und ich sofort beschlossen: Da gehen wir hin! Die zwei anderen bekamen das bei der ganzen Fragerei natürlich auch mit, ließen sich von unserer Neugierde anstecken und so waren wir schließlich zu viert. “Aha, und was macht ihr da dann?” Ja, das war dann schon etwas schwieriger zu beantworten, wussten wir von dem Projekt nicht viel mehr als das, was der Pastor damals erzählt hat. Aber wir schilderten , dass es dort eine Schule, Kirche, ein Waisenhaus und ein Krankenhaus geben würde und wir eben schauen werden, wo unsere Hilfe gebraucht wird. Unsere Eltern waren anfangs vielleicht auch ein bisschen skeptisch, trotzdem vertrauten sie ihren Töchtern und erlaubten und unterstützten die Reise ins quasi Ungewisse. Dass dieses kleine Land im Osten von Afrika anders funktioniert, wurde uns schon bei der Kontaktaufnahme mit Pastor Gabriel klar. Wir fragten, ob wir mal kommen dürften, er sagte ja, wir schickten unsere Daten per WhatsApp, dann noch eine kurze Nachricht wann wir ankommen, das war‘s. Kein Papierkram, keine Unterschrift, nur sein und unser Vertrauen. Das wurde, als wir dann schließlich in Entebbe, dem einzigen Flughafen in Uganda, ankamen kurz auf die Probe gestellt: “Oh Gott, wie sollen wir ihn denn unter all den Leuten finden?” Doch ähnlich wie bei Kathrin Gärtner fand der Pastor stattdessen uns.
Und wir fanden eine neue Welt.
Eine Welt, in der das Herz größer ist als der Besitz, in der Gastfreundschaft keine Tugend, sondern selbstverständlich ist, in der Glaube und Gottesvertrauen so tief wurzelt sind, dass selbst der Papst neidisch wird und in der wir so viel Neues erlebten und mit nach Hause nehmen durften. Doch was heißt schon Zuhause? In den sechs Wochen waren Gabriel und Deborah mehr als Gastgeber, sie waren (und sind) unsere Eltern, unser Zuhause. Von Anfang an fühlten wir uns wohl und willkommen und schlossen auch unsere kleine Schwester Priscilla sofort ins Herz.
Als Gabriel uns am ersten Tag das ganze Gelände zeigt sind wir erstaunt, wie fortschrittlich alles trotzdem ist. In großen schwarzen Tanks wird Regenwasser aufgefangen, das zum Waschen, Kochen und auch zum Trinken verwendet wird. Auf einigen Gebäuden sind sogar Solaranalgen angebracht, die den Strom für die nächtliche Beleuchtung generieren.
Die kleine Klinik ist mit Krankenhausbetten und den nötigsten Medikamenten ausgestattet, das Personal beläuft sich auf eine Krankenschwester, die sich um alles kümmert. Die neue Kirche ist ein großes, helles Haus, nicht zu vergleichen jedoch mit europäischen Kirchen, die sich oft darüber definieren, besonders prachtvoll zu sein. Es gibt ein Rednerpult, das vor einer kleinen Bühne steht, dahinter sind bunte Tücher und alle möglichen Länderflaggen angebracht. Auf der Galerie befinden sich noch Gabriels und ein paar weitere Büros, ansonsten ist der Raum leer – werktags. Am Sonntag werden Plastikstühle für die Gemeinde aufgestellt, auf der Bühne singen, tanzen und predigen Kirchenmitglieder zu Ehren Gottes und alle machen mit oder hören zu, auch wir wurden einige Male mit einbezogen und in die Auftritte integriert. Musik wird durch ein Keyboard erzeugt und durch Lautsprecher verstärkt und wir sind überrascht, dass es nicht nur Trommeln gibt. Am wichtigsten ist jedoch, dass der Raum während des drei bis vierstündigen Gottesdienstes mit so viel Liebe und Vertrauen auf Gott ausgefüllt wird, aus dem die Menschen hier so viel Kraft schöpfen.
In der Schule verbrachten wir den Großteil unserer Zeit unter der Woche, korrigierten Aufgaben, schrieben Neue in die Hefte – es gibt ja keine Arbeitsblätter oder Bücher, die Kinder schreiben alles von der Tafel ab und für die Kleinsten wird ins Heft vorgeschrieben. Denn schon mit drei Jahren beginnen die Kinder die „Nursery-Section“ zu besuchen, dort wird dann, je nach Alter noch in Baby-, Middle- und Top-Class unterteilt. Neben spielerischen Auszeiten lernen die Kleinen von Anfang an, Englisch zu sprechen, Zahlen und Buchstaben zu schreiben und daraus am Ende auch Wörter und Rechnungen zu bilden. Oft malten wir Bilder für die Klassenzimmer, die mit so viel Liebe gestaltet sind, damit englische Wörter leichter gelernt werden können.
Aber auch wir ließen uns es nicht nehmen, in unserer Freizeit mit den Kindern oder unserem Vater neue Wörter auf Luganda zu lernen. Darüber konnte sich am meisten unsere tolle Köchin, die von allen nur Aunti genannt wird, freuen, die spricht nämlich nur ihre Landessprache. Zum Essen gab es meistens Reis, Kartoffeln und Bohnen, oft auch Matoke oder eine Soße aus Erdnüssen und einmal in der Woche Fleisch oder Fisch. Und, wie konnte ich das nur beinahe vergessen: Chapatis, Teigfladen aus Mehl, Wasser und Salz, die nach Deborahs Art mit Zwiebeln, Ingwer und Karotten verfeinert und anschließend frittiert wurden, ein wahrer Gaumenschmaus! Alles wird über dem Feuer gekocht und als wir gegen Ende unseres Besuches selbst ein paar deutsche Spezialitäten für unsere Familie kochen wollten, merkten wir, wie anspruchsvoll und anstrengend das wirklich war. Fast beschämt antworteten wir auf die Frage der belustigten Schülerinnen, wie wir das denn Zuhause machen, dass wir da nur den Herd anschalten müssen.
Einige Male halfen wir auf der Farm aus, pflanzten verschiedene Bohnenarten und Bananenbäume. Feldarbeit bedeutet in Uganda noch echte Handarbeit: jedes Loch für die Samen wird eigens ausgehoben, bepflanzt und dann wieder mit Erde bedeckt. Was in Deutschland in wenigen Stunden auf wesentlich größeren Feldern mit Maschinen erledigt wird, dauert hier wenn man sich beeilt einen ganzen Tag und fordert viele fleißige Hände.
Die Straßen Ugandas sind weder geteert, noch gerade und so viele Regeln scheint es im Verkehr nicht zu geben, wie wir auf unseren Ausflügen in die Hauptstadt, zum Nationalpark und Äquator und zur Quelle des Nils immer wieder feststellen durften. Überall flitzen Roller, die nur "Border–Borders" genannt werden und mit bis zu fünf Personen besetzt sind, zwischen den Autos hindurch, die Hupe scheint oftmals die Bremse zu ersetzen und wir waren alle froh, dass uns unser Vater mit seiner Liebe zu Autos, speziell zu Mercedes Benz, so sicher durch den Straßenverkehr fuhr.
Wir genossen jeden Tag unserer sechs Wochen Aufenthalt und die Zeit verging wie im Flug, also hieß es plötzlich Abschied nehmen von unserer Familie, den Freunden, die wir dort gefunden haben und den Kindern. Zum krönenden Abschluss fuhren wir auf dem Weg zum Flughafen noch zum Viktoriasee, kauften allen, die dabei waren, Chapatis, setzen uns vor das Wasser und blickten nochmal auf unsere schöne Zeit zurück. Ein Höhepunkt war auf jeden Fall der Sportsday, eine Art miniolympische Spiele, der wochenlang von allen Lehrern mit viel Mühe vorbereitet wurde, die Schüler trainierten fleißig, damit ihr Haus gegen die anderen drei Häuser gewinnen kann und am Tag selbst kamen viele Eltern auf den aufwändig geschmückten Fußballplatz um ihren Kindern zuzusehen. Wichtig war nicht, wer am Ende den Hauptpreis, eine Ziege gewann, sondern dass alle ihr Bestes gegeben haben, die Kinderaugen nur so gestrahlt haben vor Stolz und dass hinter jedem Athleten ein großer Pulk an Unterstützern stand, die fleißig jubelten und klatschten, als wären wir beim echten Olympia. Diese ehrliche Freude durften wir auch erfahren, als wir unsere Mitbringsel an die Kinder der Primary- School verteilten und die Kinder am Ende “Thank You!” rufend im Kreis rannten und sich über einen Ball oder ein Kuscheltier freuten, als hätten sie im Lotto gewonnen. Da wurde uns nochmal klar in welchem Luxus wir in Europa leben dürfen und gleichzeitig blieb aber die Frage, ob die Menschen hier nicht eigentlich trotzdem mehr hätten. Mehr Liebe, mehr Zuversicht, mehr Dankbarkeit und mehr Lebensfreude. Dieses Mehr möchten wir denke ich alle gerne in unserem Alltag integrieren und wenn das mal wieder schwer fällt werde ich mich an diese Menschen zurückerinnern und darüber lächeln mit welchen Kleinigkeiten wir uns hier manchmal rumärgern.
Wenn uns nun jemand fragt: “Und, wie war‘s jetzt eigentlich in Afrika?” können wir von einer wirklich tollen Zeit, liebenswerten Menschen und tausend tollen Erlebnissen erzählen. Und davon, dass wir unsere Familie in Luwero auf jeden Fall noch einmal besuchen werden.
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